Christlicher Fundamentalismus & Soziale Arbeit

Handreichung über Vorgehensweisen, Strategien und Netzwerke christlich-fundamentalistischer Akteurskonstellationen in der Sozialen Arbeit

An dieser Stelle veröffentlichen wir unsere Handreichung zur Sensibilisierung gegenüber christlich-fundamentalistischen Aktivitäten in der Sozialen Arbeit. In der durch die Freie und Hansestadt Hamburg geförderten Broschüre werden Vorgehensweisen, Strategien und Netzwerke des christlichen Fundamentalismus in Deutschland analysiert.

Die Broschüre umfasst die folgenden Abschnitte:

  • Begriffsdefinition Christlicher Fundamentalismus
  • Spannungsfelder mit der professionellen Sozialen Arbeit
  • Vorgehensweisen christlich-fundamentalistischer Akteurskonstellationen
  • Beispiele christlich-fundamentalistischer Projekte
  • Recherchetipps für die Praxis

Im Anhang werden zudem Anlauf- und Beratungsstellen sowie Hilfsangebote aufgeführt. Die Broschüre kann hier frei heruntergeladen werden.

Hier kann die zur Veröffentlichung der Broschüre am 22.07.2025 herausgegebene Pressemitteilung aberufen werden.

Weiterlesen:

Das heterogene Spektrum des christlichen Fundamentalismus umfasst ein weitverzweigtes Netz unterschiedlicher Gemeinschaften, Gemeinden und Gruppierungen bis hin zu NGOs mit dezidiert christlicher Ausrichtung. Gleichwohl ist die Problematik des christlichen Fundamentalismus in der Radikalisierungs- und Extremismusforschung sowie in der zivilgesellschaftlichen und medialen Debatte bislang unterrepräsentiert.

Zeitgleich dringen christlich-fundamentalistische Akteurskonstellationen mehr und mehr (auch) auf Gebiete der Sozialen Arbeit und in Wohlfahrtsverbände vor. Dabei entsteht ein Spannungsfeld zwischen religiöser Zielsetzung und den Bedürfnissen von Klient*innen. Zunehmend verwischt die Grenze zwischen ergebnisoffener, klient*innenzentrierter Sozialer Arbeit und Mission, Glaube und „Rettung“. In einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft entstehen dadurch Konflikte über Fragen reproduktiver, sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit und Minderheitenschutz.

Vor diesem Hintergrund zeigt die vorliegende Broschüre anhand mehrerer Beispiele – vorwiegend, aber nicht nur aus dem Raum Hamburg und Schleswig-Holstein – typische Strategien christlich-fundamentalistischer Gruppierungen auf. Sie benennt Handlungsfelder, Binnenthemen und Vorgehensweisen.

Auch wenn die Beispiele regional gewählt wurden, müssen sie im Kontext globaler christlich-fundamentalistischer Aktivitäten verstanden werden, deren regionale Ableger im diskursiven Austausch mit den übrigen Akteur*innen stehen und die, etwa durch Missionsprojekte, auch einen personellen Austausch organisieren.

Die Broschüre ist ein Appell für mehr Sensibilität und einen bewussteren Umgang mit christlich-fundamentalistischen Akteurskonstellationen.

Wir hoffen, mit dieser Broschüre eine Ressource für politische, zivilgesellschaftliche und behördliche Verantwortliche und Interessierte vorzulegen sowie einen – in unseren Augen überfälligen – Debattenbeitrag in der Auseinandersetzung mit erstarkendem christlichen Fundamentalismus.

In Kürze werden wir hier auch noch einen Termin zur Online-Vorstellung der Broschüre mitteilen. Weitere Infos folgen!

Gerne stellen wir unsere Rechercheergebnisse auch im Rahmen individueller Vorträge, Workshops o.ä. vor. Basierend auf unseren eigenen Rechercheerfahrungen geben wir dabei gerne auch Recherchetipps für die Praxis, die das Erkennen problematischer christlich-fundamentalistischer Ausrichtungen von Akteur*innen erleichtern sollen. Anfragen hierzu sowie Konditionen im Einzelfall können ebenfalls an vorgenannte E-Mailadresse gerichtet werden.

Christliche Fundamentalist*innen in der Sozialen Arbeit

Recherche zum Verein Mission Freedom e.V., dessen Gesellschaft Himmelsstürmer Deutschland gGmbH und deren Einrichtung „SeeNest“ für sexuell missbrauchte Minderjährige 

An dieser Stelle veröffentlichen wir eine von mir bereits vor dem Start von FundiWatch verfasste Recherche zur christlich-fundamentalistischen und missionarischen Ausrichtung des Vereins Mission Freedom e.V. Denn leider ist das Thema immer noch sehr aktuell, der Verein immer noch aktiv.

Und außerdem hat die Recherche auch einiges mit dem Entstehen von FundiWatch – und meinem persönlichen Weg dorthin – zu tun…

Weiterlesen

Die Recherche zu Mission Freedom habe ich bereits 2023 verfasst. Damals hätte ich mir nie vorstellen können, was das alles auslösen würde. Wie viele neue wunderbare und engagierte Menschen ich darüber kennen lernen würde, dass ich darüber auf die christlich-fundamentalistische Glaubenskonferenz „UNUM24“ in der Münchener Olympiahalle aufmerksam werden würde (Mission Freedom hatte dort einen Stand), dass ich daraufhin mit einigen Mitstreiter*innen das Protestbündnis #NoUNUM24 initiieren würde. Und dass einige von diesen neu kennengelernten Menschen nun Ende vergangenen Jahres mit mir gemeinsam FundiWatch starten werden…

Als ich von all dem noch nichts ahnte, erfuhr ich im Sommer 2023 von Diskussionen in der Profession der Sozialen Arbeit. Diese befassten sich mit der Frage, wie sich die Soziale Arbeit zu religiösen und spirituellen Bedürfnissen ihrer Klient*innen verhalten und damit umgehen sollte. Dabei ging es auch darum, ob bzw. wie Religion bzw. der „christliche Glaube“ für Klient*innen – gerade solche, die aus religiösen Kontexten stammen – als hilfreiche Ressource genutzt werden könne.

Ich war skeptisch. Natürlich mag Religion und Spiritualität für manche Menschen eine wichtige Ressource darstellen. Für andere aber auch nicht. Und vor allem: Leider werden insbesondere Lebenskrisen nicht selten ausgenutzt, um Menschen eigene religiöse Vorstellungen (teils sehr subtil) aufzudrängen.

Ich halte es nach wie vor für wichtig, dass professionell Sozialarbeitende religiöse Hintergründe ihrer Klient*innen verstehen und nachvollziehen ggf. auch vermitteln können. Bereits die vom DBSH veröffentlichte Berufsethik würde jedoch einer Vermischung von Missionierung und Sozialer Arbeit ebenso entgegenstehen, wie die Anwendung unwissenschaftlicher Methoden, wie beispielsweise die Vermittlung eines Glaubens an „Dämonen“, Befreiungsgebete, Wunderheilungen etc.

Was steckte also dahinter? Von wem ging diese Diskussion aus? Sollte es etwa doch um Missionierung gehen?

Also stieg ich in die Thematik ein und schaute mich um, welche Gruppen diese Diskussion (jedenfalls teilweise) mit angestoßen hatten. Schnell stieß ich auf diverse Organisationen, die sich als Hilfen zum „Ausstieg aus der Prostitution“ (die Selbstbezeichnung „Sexarbeit“ wird von diesen explizit abgelehnt) für eine „Welt ohne Prostitution“ engagieren. An ersterem fand ich zunächst nichts Verwerfliches: Wer nicht (mehr) in der Sexarbeit tätig sein möchte, sollte Unterstützung finden.

Skeptisch wurde ich, als ich feststellte, dass viele dieser Organisationen sich für ihr Engagement explizit auf ihren christlichen Glauben berufen. Und dieser offenbar in ihrer Arbeit eine zentrale Rolle spielt, auch wenn dies auf deren Internetseiten teils nicht auf den ersten Blick erkennbar war.

Viele dieser Organisationen sind in dem nahezu ausschließlich christlich-evangelikal ausgerichteten Netzwerkverein „Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.“ (GGMH) verbunden. Darunter auch der Verein „Mission Freedom e.V.“ aus Hamburg, dessen Vorsitzende Gaby Wentland auch im Vorstand von GGMH vertreten ist. Ich wurde hellhörig.

Denn bereits 2013 stand Mission Freedom unter massiver öffentlicher Kritik, u.a. auch wegen öffentlichen Äußerungen von Gaby Wentland (vorehelichen Geschlechtsverkehr bezeichnete sie als „die erste große Sünde vor Gott“, Homosexualität als „Greuelsünde“).

Das Hamburger LKA beurteilte den Verein als „nicht seriös“. Der Hamburger Senat und dortige Opferschutzverbände bewerteten das Konzept von Mission Freedom als nicht den fachlichen Qualitätsanforderungen entsprechend und lehnten jede Zusammenarbeit ab. Kritisch wurde insbesondere die „spezifisch religiöse Ausrichtung im Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauchs gesehen („Heilung vom sexuellen Missbrauch“ […])“ gesehen.

Selbst die Diakonie Hamburg, bei der Mission Freedom – bis heute – Mitglied ist, hegte „starke Zweifel“, ob Mission Freedom im geforderten Maß zwischen Sozialarbeit auf der Basis des christlichen Glaubens und dem eigenen Missionierungsauftrag unterscheiden könne.

Und dann fiel mir eine Nachricht auf dem Facebook-Profil der Vorsitzenden von Mission Freedom, Gaby Wentland, auf:

„Im Allgäu hat Gott große Pläne vor 23!“

Bitte was?! Ich schaute weiter und stellte fest, dass Mission Freedom im bayerischen Allgäu eine vollstationäre Schutzeinrichtung für sexuell missbrauchte Minderjährige plante.

Ein Verein, den ein LKA für unseriös hält, von dem sich Opferschutzverbände distanzieren, dessen Vorsitzende mit menschenfeindlichen Äußerungen auffällt und der sexuellen Missbrauch „heilen“ will soll sich um sexuell missbrauchte Minderjährige kümmern?! In der Einrichtung eines solchen Vereins soll das „Kindeswohl“ gewährleistet sein? Denn genau das wäre die gesetzliche Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis für so eine Einrichtung (vgl. § 45 SGB VIII).

Ich suchte also nach weiteren, v.a. neueren Erkenntnissen über Mission Freedom. Unter anderem in zahlreichen online abrufbaren Predigten und Vorträgen von Wentland wurde ich fündig – und war alarmiert. Ich trug also alles zusammen und letztlich entstand daraus die nun hier veröffentlichte Recherche. Wir haben diese bewusst auf dem damaligen Stand vom 15.11.2023 mit Aktualisierungen bis zum 15.04.2024 belassen.

Die weiteren Entwicklungen seither daher noch einmal im Folgenden kurz zusammengefasst:

Mit der Recherche wendete ich mich ab Herbst 2023 an diverse weltanschauungsbeauftragte Stellen, Verbände, Behörden, Politiker*innen und Medien. Die Recherche bekam „Beine“ und verbreitete sich erstaunlich schnell.

Das bekam ich auch zu spüren, als ich zu Recherchezwecken im Frühjahr 2024 auf der u.a. von GGMH und Mission Freedom alle zwei Jahre im „Schönblick“ veranstalteten „Konferenz gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung“ teilnahm (ja, genau an dem Ort, an dem derzeit deutsche radikale Abtreibungsgegner*innen ihren Vernetzungskongress abhalten). Gaby Wentland und Inga Gerckens (die heutige Geschäftsführerin der Einrichtung im Allgäu) erkannten mich und stellten mich recht verärgert zur Rede.

Immerhin, rausgeworfen haben sie mich nicht. Ich durfte noch zwei weitere erkenntnisreiche Tage auf der Konferenz mit zahlreichen skurrilen Erlebnissen verbringen. Und an einem Vortrag zum sogenannten BethelSOZO Befreiungsgebet teilnehmen, das laut Beschreibung der internationalen Leiterin Dawna de Silva auch zur „Befreiung“ von Homosexualität eingesetzt werden kann. Ein Bild im Internet zeigt Wentland und Gerckens, wie sie mit weiteren Mitarbeitenden von Mission Freedom ein Seminar von de Silva besuchen…

Die Erlaubnis für die Einrichtung von Mission Freedom, die nun seit Anfang 2024 unter der „Himmelsstürmer Deutschland gGmbH“ das „SeeNest“ betreibt, wurde trotz alledem erteilt. Um die Verbindung zu Mission Freedom zu erkennen, ohne das Handelsregister zu bemühen, muss man schon ganz genau ins Impressum sehen – dort findet man dann den Namen von Inga Gerckens. Und eine Postfachadresse, die auch von Mission Freedom genutzt wird.

Der Bedarf entsprechender Einrichtungen in Deutschland ist grundsätzlich groß. Wenn dann ein Verein daher kommt, der für die Eröffnung keine Fördermittel in Anspruch nimmt und gestützt vom  „Gütesiegel Diakonie“ als christlich auftritt, kommt das nicht ungelegen. Auch ein Jugendamt, dem ich explizit meine Recherche zusendete und Gespräche anbot, ließ sich letztlich nicht davon abbringen, Kinder in der Einrichtung unterzubringen.

Gaby Wentland selbst begrüßte die Unterbringung erster Kinder im „SeeNest“ in einem Video schließlich mit den Worten:

„Das ist so, als wenn Gott mir drei neue Babys geschenkt hat.“

Ein Bericht von Panorama3, eine Anfrage im Bayerischen Landtag, weitere Medienberichte hier und hier (PW) änderten bisher nichts: In der Einrichtung befinden sich weiterhin schwerst traumatisierte Minderjährige in Obhut eines christlich-fundamentalistischen Vereins.

In einem eigenen Artikel in der MIZ kam ich zu dem – leider für mich auch heute noch so gesehenen – bitteren Fazit:

„Das einzige, das zynischer Weise bisher für einen auch öffentlich wahrgenommenen Skandal ‚fehlt‘: Aussagewillige geschädigte Opfer.“

Ich hoffe weiterhin inständig, dass es auch anders geht. Zumal selbst solche Aussagen von Opfern in der Vergangenheit leider immer wieder folgenlos blieben.

Über die Recherche zu Mission Freedom und weiterer sich für ein sog. „Sexkaufverbot“ einsetzender Organisationen habe ich einen mir völlig neuen Einblick in eine auf den ersten Blick seltsam anmutende Allianz christlich-fundamentalistischer, radikal-feministischer und rechter Akteur*innen erhalten.

Maßgeblich dazu beigetragen hat Ruby Rebelde, eine Person, die ich im Zuge meiner Recherchen kennen lernen und mit ihr und weiteren Personen FundiWatch starten durfte. Ruby ist selbst in der Sexarbeit tätig, Autor*in und in der politischen Bildungsarbeit engagiert. Ich habe zuvor – und auch bisher – keine andere Person getroffen, die sich so umfassend und professionell mit den Verbindungen christlich-fundamentalistischer Akteur*innen in Anti-Sexarbeits-Allianzen und deren ideologischen Schnittstellen und Hintergründen befasst hat.

Gerade erst ist Rubys Buch „Warum sie uns hassen“ über Sexarbeitsfeindlichkeit erschienen. Eine absolut empfehlenswerte Lektüre – sei es nun als Alternative oder Ergänzung zu der Recherche zu Mission Freedom…


P.S.: Von Mission Freedom und weiteren nahestehenden Organisationen und Gruppen werden übrigens auch krude Verschwörungserzählungen rund um das Thema „Rituelle Gewalt“ und „Mind Control“ verbreitet (zu Mission Freedom vgl. die Recherche ab Seite 19). So wundert es auch kaum, dass der aktuelle Dokumentarfilm „Blinder Fleck“ von mehreren Mitgliedsorgansiationen von GGMH mit finanziert wurde. Zu der Doku hat Nephthys Morgenstern von FundiWatch gerade einen Gastbeitrag bei belltower.news veröffentlicht, der auch auf die Rollen von Antisemitismus und Verschwörungserzählungen in diesem Zusammenhang eingeht.


Instagram
Fundiwatch at Bluesky
Bluesky
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner